„Zwei Brachen an einer Straße – das zeichnet keine Stadt aus“
Man muss schon genau hinhören: In vielen Zielen für Werther sind sich die Bürgermeisterkandidaten Veith Lemmen (SPD), Katrin Eckelmann (CDU) und Hannes Dicke-Wentrup (parteilos) einig. Die Unterschiede offenbaren sich in dem Weg dorthin.
Her Lemmen, hätten Sie sich vor einem Jahr vorgestellt, dass Sie mit diesen beiden Mitbewerbern am Tisch sitzen?
Veith Lemmen: Ehrlich gesagt, hatte ich nicht ausgerechnet mit Hannes und Katrin gerechnet. Ich hätte mir auch noch mehr Kandidaturen vorstellen können… Ich bin jedenfalls froh, dass wir nur fünf Parteien haben, die antreten. So können wir gut miteinander diskutieren.
Nicht immer läuft es wie geplant – der heruntergekommene H.W.-Meyer-Komplex steht dafür exemplarisch. War es ein Fehler, darauf zu vertrauen, dass der Investor die schönen, gemeinsam erarbeiteten Pläne mit mehr als 60 Wohneinheiten schon umsetzen wird? Ein förmlicher Bebauungsplan, der wasserdicht klären würde, was an dieser Stelle möglich sein soll oder nicht, ist nach 2020 daraufhin nicht mehr erstellt worden...
Katrin Eckelmann: Da muss man nach dieser komplexen Zeit mit Corona und Krieg gnädig sein, rückblickend ist das schwierig zu beurteilen. Aber es ist kein Geheimnis, dass mir und der CDU die Situation nicht gefällt. Zusammen mit Weco sind das gleich zwei Brachen an einer Straße. So etwas zeichnet keine Stadt aus. Da sind wir alle gefragt. Und die Pläne des Investors, die ich gesehen habe, sind so, dass man durchaus eine gute Lösung finden kann.
Hannes Dicke-Wentrup: Ich glaube, es ist nicht Aufgabe der Stadt, einem Investor zu sagen: Das sollst du da hinbauen. Klar, man kann sich immer etwas wünschen. Wenn’s einvernehmlich ist: umso besser. Am Ende muss der Investor sagen: Das brauche ich, das hat Zukunft. Er muss schließlich Mieter mit der notwendigen Bonität bekommen.
Lemmen: Eine auskömmliche Finanzierung müssen alle im Blick haben. Aber mir geht es um das gemeinsame Erarbeiten einer guten Lösung. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Politik fraktionsübergreifend – ausgehend von den Plänen, mit denen wir gestartet sind – alle Veränderungen mitgetragen hat. Bis sich die Überlegungen komplett gedreht haben.
„Wir brauchen den Investor nicht pädagogisch lenken.“
Katrin Eckelmann (CDU)
Ich glaube, da ist noch nicht alles ausgeschöpft. Im Koalitionsvertrag sind neue Bundes-Fördergelder in Aussicht gestellt, die damals ja über Nacht weggebrochen waren. Vielleicht eröffnet das neue Möglichkeiten. Ich bin überzeugt, dass wir hier etwas Funktionierendes hinbekommen können. Stichworte: Ärztehaus, kleinteiliges Gewerbe, aber auch barrierefreies, zentrumnahes Wohnen.
Eckelmann: Aber pädagogisch zu lenken brauchen wir den Investor nicht…
Lemmen: Natürlich nicht. Aber er hat auch gesagt, dass er das ursprüngliche Konzept gern umgesetzt hätte, wenn die Gelder gereicht hätten.
„Die Sparkasse mit Lift und Tiefgarage wäre doch was für Arztpraxen.“
Hannes Dicke-Wentrup (parteilos)
Was immer bei H.W. Meyer entstehen wird: Es könnte ein Konkurrent in der bestehenden Geschäftswelt sein. Mit welchen Maßnahmen wollen Sie den Einzelhandel in der City stärken? Können schöne Outdoor-Möbel Leerstände in der Innenstadt verdecken?
Dicke-Wentrup: Die Möbel sind schick und werden bei schönem Wetter gut genutzt. Aber das huckelige Pflaster, da müssen wir ran! Diese Mängel können wir weder mit Möbeln noch mit Fahrradstraßen kaschieren. Und wir müssen die Stadt offenhalten. Es muss weiter möglich sein, bei Regen vor den Läden zu parken. Wir müssen Rücksicht auf die älter werdende Bevölkerung nehmen. Und mit der Sparkassen-Immobilie, die nach dem Sprengungsschaden noch nicht saniert wurde, hätten wir mitten in der Stadt ein Gebäude mit Lift und Tiefgarage – das wäre doch etwas für Arztpraxen.
Eckelmann: Als so kleine Stadt haben wir immer noch ein recht breites Einzelhandelsangebot, die Leerstände sind überschaubar. Wir könnten jetzt die Einbahnstraße noch einmal rauf und runter diskutieren, aber sie ist nun einmal da. In der Tat müssen wir an das Pflaster ran, da verliert man – kein Scherz – die Erdbeeren aus dem Fahrradkorb… Barrierefreiheit ist wirklich wichtig. Vor allem aber ist es eine Aufgabe von Politik, die Botschaft zu vermitteln: „Kauft im Ort!“
Lemmen: Was mögliche künftige Gebäudenutzungen etwa der Sparkasse angeht, so sollte man das erstmal mit den direkten Beteiligten besprechen. Ansonsten schließe ich mich euch an. Der Unterbau des Pflasters macht Probleme, da haben wir uns Stück für Stück auf den Weg gemacht. Für den großen Wurf brauchen wir Städtebaufördergelder. Bis alles fertig ist, wird es noch einige Jahren dauern – so ehrlich muss man sein. Wenn unsere inhabergeführten Geschäften irgendwann Nachfolger suchen, müssen wir überlegen, wie wir Anreize setzen können. Auch Stadtmarketing – Stichwort: Feierabend-Markt – ist unser ureigenstes Instrument. Und wir können nicht oft genug sagen: Die Geschäfte sind erreichbar! Werther hat hunderte kostenlose Parkplätze. Die werden wir noch besser ausschildern.
Apropos Nachfolge: Der Ruhestand von Dr. Wolfgang Decius hat gezeigt, dass Werther ein Hausarzt-Problem hat. Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie, als Stadt Einfluss auf die medizinische Versorgung nehmen zu können?
Eckelmann: Zunächst: Ich finde großartig, wie die vorhandenen Ärzte das geregelt und eine hohe Zahl an – vor allem älteren – Patienten vor Ort untergebracht haben, obwohl sie selbst am Anschlag sind. Beim Anwerben selbst können wir wenig tun, höchstens bei Wohnraum- oder Kita-Platz-Suche helfen. Wichtiger ist die Frage, welche langfristigen Versorgungskonzepte tragen. Da müssen wir auch unsere Kontakte auf Landes- und Bundesebene nutzen, zum Beispiel, was die Ausbildung angeht.
„Wenn Werther es mit seinen Pluspunkten nicht schafft, für Ärzte attraktiv zu sein, haben anderen Städte ein fettes Problem.“
Veith Lemmen (SPD)
Lemmen: Ich bin froh, dass es zuletzt gelungen ist, neue Fachärzte anzusiedeln, etwa die HNO-Praxis. Es gibt also auch positive Entwicklungen. Bei der weiteren Suche nach Ärzten mit Geld zu wedeln, löst das Problem nicht. Das ist Kannibalismus unter den Städten. Wir müssen ein Rundum-sorglos-Paket schnüren, damit Mediziner sich freiwillig für diese Aufgabe entscheiden: Hier, das ist Werther! Mit all seinen Vorzügen – Bauplatz, Infrastruktur, Betreuungsgarantie für Kinder, Vereinsleben, Nähe zur Uni. Wenn wir es so nicht schaffen, haben andere Städte ein richtig fettes Problem.
Dicke-Wentrup: Ich finde es schön, dass wir uns da einig sind. Überhaupt sind wir uns bei den Zielen hier vor Ort sehr nahe...
Auf die Frage nach den größten Ärgernissen in Werther antworten viele mit der schlechten und vor allem teuren ÖPNV-Anbindung an Bielefeld. Was kann ein (neues) Stadtoberhaupt da ausrichten?
Lemmen: Wir versuchen zum einen, Vorbild sein: Das 1-Euro-Ticket, das gerade NRW-weit diskutiert wird, hat Werther für den Bürgerbus als eine der ersten Städte eingeführt. Um die Jugend an den ÖPNV heranzuführen, sollen Minderjährige komplett kostenfrei fahren dürfen.
„Es geht nicht, dass Tickets nur noch online und nicht mehr im Bus erhältlich sind.“
Veith Lemmen (SPD)
Ich gebe zu: Das Thema habe ich unterschätzt. Wir waren mit den Verkehrsverbünden in guten Gesprächen, da kam plötzlich die landesweite Reform: der Entfernungstarif. Dann sei doch alles in Ordnung, hieß es: Wer sich mit der App einbuche, zahle nach Kilometern. Mal abgesehen, dass das noch nicht günstig genug ist: Mit mir ist es nicht zu machen, dass Tickets nur noch online und nicht mehr im Bus erhältlich sind. Auch die Vierer-Tickets müssen bleiben, die Preise runter! Aber wir sind leider nur Bittsteller, die Verkehrsbetriebe alleine entscheiden Preis und Co., aber wir werden dranbleiben.
Eckelmann: Ja, da muss man hartnäckig bleiben. Ich kann günstiger mit dem Auto nach Bielefeld fahren und im Parkhaus stehen, als mit dem Bus zu fahren. Das geht nicht. Und: Es ist nicht jeder in der Lage, online ein Ticket zu buchen. Wir müssen darauf drängen, dass man weiter im Bus bezahlen kann. Durch die hohen Preise wird ein Teil der Bevölkerung von gesellschaftlicher Teilhabe abgeschnitten. Busfahren muss man sich leisten können.
Dicke-Wentrup: Über die Regiopole geht’s beim Museumsticket ja auch! Da muss einfach mehr Druck gemacht werden. Es war ein Fehler, das Neun-Euro-Ticket damals fast wie Freibier auszugeben. Aber das 58-Euro-Ticket heute ist für Gelegenheitsbusfahrer im ländlichen Raum komplett ungeeignet. Die Stadt kann zwar nicht subventionieren, aber andersrum wird Geld auch falsch ausgegeben. Die Image-Kampagne für die Rathaus-Mitarbeiter war fast schon peinlich. Das war über, zu gut gemeint.
„Die Image-Kampagne für die Rathaus-Mitarbeiter war fast schon peinlich.“
Hannes Dicke-Wentrup (parteilos)
Lemmen: Wir haben so ein Glück, dass wir bei der Stadt Werther Mitarbeitende haben, die sich so stark engagieren – übrigens auch über das hinaus, was man sieht. Da ist ein vierstelliger Betrag gut angelegt, zumal in der Kampagne ja auch das Ehrenamt gewürdigt wurde. Ich habe das aus tiefer Überzeugung gemacht.
Herr Dicke-Wentrup, Sie sagen über Ihren Mitbewerber Veith Lemmen, er habe durchaus einiges erreicht in den vergangenen fünf Jahren. Er habe allerdings vor allem geerntet und nicht gesät.
Dicke-Wentrup: Was gesät worden ist, ist das Schwarzbach-Projekt. Den dritten Abschnitt gehe ich mit, der zweite ist oversized. Beim ersten Teilprojekt: 6000 Kubikmeter Erde, 400 Lkw-Ladungen, wegfahren für Klimaschutz? Da gehe ich nicht mit. Der Weg muss ein anderer sein in Werther: Das wollen wir machen – gibt’s Fördergelder? Und nicht: Hier gibt’s Fördergelder, das machen wir.
Würden Sie als Bürgermeister das „geerbte Projekt“ denn weiterverfolgen?
Dicke-Wentrup: Schwere Sache. Mir ist suspekt, welche Ebenen mitreden, was gemacht werden darf. Ich würde es umsetzen, aber im ersten Teilbereich viel schmaler.
Aber die Planungen laufen längst… kann das noch gebremst werden?
Lemmen: (schüttelt den Kopf)
Dicke-Wentrup: Das hoffe ich. So macht es keinen Sinn.
Lemmen: In dem Projekt sind Maßnahmen enthalten, die wir ohnehin benötigen. Wenn wir sehen, wie sich Klima und Wetter ändern – das sagst du selbst, Hannes -, dann müssen wir jetzt darauf reagieren mit Frischluftschneisen, Verschattung, Hochwasserschutz. Wenn wir dafür Gelder kriegen können, sollten wir das nutzen! Ich möchte nicht eines Tages entscheiden müssen: Können wir die Schule ausbauen, oder müssen wir Klimaschutz betreiben?
Übrigens: Um zu ernten, muss man nicht nur säen. Mit einem Ratsbeschluss endet die Arbeit der Verwaltung nicht, sie beginnt erst richtig. Dass wir in diesen schwierigen Zeiten so große Projekte wie Kläranlage und Feuerwehrgerätehaus gestemmt bekommen haben, ist bemerkenswert. Wobei ich betonen möchte: Bei letzterem hat sich auch die Feuerwehr selbst enorm reingehängt. Das war Teamwork!
Ohne solide Finanzen geht’s nicht – da werden Sie alle zustimmen. Wo kann Werther noch Geld einnehmen? Wo kann Werther noch Geld einsparen? Ausgeben ist ja meist kein Problem...
Dicke-Wentrup: Wir sind zum Glück, was Gewerbe angeht, sehr breit aufgestellt und hängen in Krisen nicht an Einzelnen. Interkommunal große Firmen anwerben würde ich nicht. Aber die in Werther ansässigen müssen Möglichkeit haben, sich am Ort zu entwickeln. Beispiel Rodderheide 2: Das dürfte etwas flotter gehen. Man könnte mit Erbpachtregelungen an die Eigentümer rangehen. Der Bebauungsplan ist rechtsgültig, da könnte es sofort losgehen.
„Der Blotenberg und die paar Grundstücke bei Ebeler reichen nicht.“
Katrin Eckelmann (CDU)
Eckelmann: Die Wirtschaft ist der Motor unserer Stadt. Ich würde auch im interkommunalen Bereich weitergehen, aber eben in erster Linie die Rodderheide II entwickeln. Auf die Gewerbesteuer können wir nicht verzichten. Wir müssen alle Betriebe – große wie kleine – stärken.
Und: Unser Einkommensteueranteil sinkt, wir brauchen Bevölkerungszuwachs. Der Blotenberg und die paar Grundstücke bei Ebeler reichen nicht. Ich will nicht alles zubetonieren. Wir müssen jetzt mit Augenmaß planen! Wir wissen, dass wir für den Blotenberg fast 20 Jahre gebraucht haben… Das können wir uns kein zweites Mal leisten. Die Idee „Jung kauft alt“ ist gut, funktioniert aber leider nicht, und wir können niemanden zwingen. Eine Nachverdichtung mit Wohnraum ist ebenfalls kaum möglich, außerdem brauchen wir auch ausreichend Grün in der Innenstadt. Die Haushaltssituation ist an der Grenze, wir müssen hartnäckig gegensteuern. Langfristig brauchen wir mehr Einnahmen. Geförderte Projekte sind gut, aber die bedingen auch jedesmal einen großen Eigenanteil. Neben den höchsten Einnahmen haben wir auch die höchsten Ausgaben.
Lemmen: Wir haben in den vergangenen fünf Jahren so viel investiert wie noch nie, dabei die reale Pro-Kopf-Verschuldung in Werther von 50 auf 30 Euro gesenkt. Der Haushalt ist in diesem Zeitraum jedes Jahr um 1,5 bis 2 Millionen Euro besser abgeschlossen worden als anfangs geplant. Bei der Erweiterung der Gewerbegebiete sind wir stetig am Ball. Und Fördermittel wollen wir nur dort akquirieren, wo ohnehin Investitionsbedarf ist.
Eckelmann: Das passiert ja nicht von heute auf morgen. Aber wir sollten uns im Rat darauf einigen, für das Süthfeld II und die Nordstraße zumindest in Teilen eine Planung aufzustellen. Wir werden das als Wohngebiet brauchen. Angesichts der Vorgaben aus dem Regionalplan und des Flächenverbrauchs wird es allerdings auf lange Sicht nicht nur mit Einfamilienhäusern funktionieren. Größte Herausforderung neben ökologischen Aspekten ist: Welche Art Bebauung und Wohnen können sich die Menschen überhaupt noch leisten? Wir liegen beim Neubau bei Quadratmeterpreisen von bis zu 4.500 Euro.
Lemmen: Wir haben in den vergangenen Jahren rund 270 neue Wohneinheiten geschaffen, etwa 170 sind in Planung. Bei neuen Wohngebieten bin ich skeptisch, solange die verkehrliche Erschließung nicht gut geklärt ist. Richtig ist, wie die beiden sagen, dass man es frühzeitig planen und vorantreiben muss – angesichts der Flächenversiegelung behutsam.
Und das Weco-Gelände? Da setzen die Grünen auf Nachverdichtung…
Eckelmann: Bei Weco sind die Kosten für die Schadstoffbeseitigung das größte Problem.
Abschlussfrage: Mit wem möchten Sie gerne in die Stichwahl kommen?
Eckelmann: Oh… das sollen die Wählerinnen und Wähler entscheiden.
Dicke-Wentrup: Finde ich auch. Nur vielleicht so viel: Ich gönne es jedem, mit mir in die Stichwahl zu kommen…
Lemmen: Wenn es eine Stichwahl gibt, so hoffe ich, dass es wieder Podiumsdiskussionen gibt. Dafür wäre Hannes Dicke-Wentrup gut. Aber ich finde es auch gut, dass eine Frau antritt.
Eckelmann: Und ich dachte, das wäre heutzutage längst normal…